Erstellt: 23. November 2017

Wer in seiner Jugend von schier unendlichen Prärien, Freiheit im Sattel und gewaltigen Büffelherden träumte, dem schmeckte Jagdwurst wie Wapiti am Lagerfeuer. Hinter jedem Busch lauerten Abenteuer. Den Talentiertesten unter uns wurden Ruderkähne auf trüben Teichen zu Kanus, die pfeilschnell Katarakte gefährlicher Ströme durcheilten. Schlichteren Knaben mag es genügt haben, imaginäre Revolver auf das jeweilige Gegenüber abzudrücken. Alle aber waren sich einig; Indianer waren die Guten, und die Bleichgesichter bekamen zu Recht ihre Skalpe über die Ohren gezogen. Den meisten von uns ist die Erinnerung daran über die Jahre abhanden gekommen. Sie haben Kredite abzuzahlen, Kinder zu umsorgen oder Eltern zu pflegen. Einige von uns aber bescheren sich gelegentlich ein bißchen Romantik, wenn sie sich nach langen Arbeitstagen einen guten Tabak gönnen und dem blauen Dunst nachsinnen. Einer, dem es vor den apanatschig-medialen Abbildern seiner Kindheitshelden graute, und der es nicht lassen konnte, seinen Träumen lebenslang nachzuspüren, war der Schriftsteller Rainer Klis. Er, nicht nur ein literarisches Unikum, verbrachte das Finale seines Lebens ausgerechnet in jenem Hohenstein-Ernstthal, das Geburtsort von Karl May ist und etablierte sich dort auch als Buchhändler, in dessen Literaturgewölbe zur Labung der Aficionados auch Havannazigarren und erlesene Getränke feilgeboten wurden. Als sich sein ureigener Traum vom Reisen in die Wildnis des nordamerikanischen Kontinents erfüllte, war Klis freilich ein reifer Vierziger und gestandener Schriftsteller, der neben dem Leben zu Pferde auch - und das als einstiger Wehrdienstverweigerer in der DDR - den qualifizierten Umgang mit Jagdwaffen erlernt hatte. Sorgfältig präpariert, unternahm er, nichts weniger als ein Tourist, ausgedehnte Reisen in entlegenste Gebiete, ergründete als Wissender mit großer Aufmerksamkeit neben aller Wildnis das Leben der Comanche, Oglala, Crow und Cree, verschonte auch die Lappen und Samen nicht. Nicht nur, weil er das Leipziger Literaturinstitut absolviert hatte, verfügte er über mehr als hinreichende Fähigkeiten, seine Leser am Erlebten teilhaben zu lassen. Informative und unterhaltsame Bücher hat er darüber verfaßt, genauso lesenswert wie seine Prosa, die ihre Vollendung in der kürzesten Form fand. Ihm, dem großen Raucher, war Tabak so heilig wie die Dialektik. Jene Havanna-Zigarren, deren Bekanntschaft er im Kuba der Achtzigerjahre gemacht hatte, und über die er Wissenswertes in den Bänden „Rauchzeichen“ und „Rauchwerk“ an den Leser brachte, wurden regelrecht zum Teil seiner selbst. Sein irdisches Ende ereilte ihn kürzlich überraschend, als hätte er die Geschichte dazu selbst verfasst, nicht durch Grizzlys in den Rockys oder eine Klapperschlange in den Great Plains, auch nicht durch blaue Bohnen in einer Reservation, sondern ganz prosaisch, wie es sich für einen Prosaisten gehört, beim Einkauf im heimischen Supermarkt. Daß ihn, zumal er sich auf raffiniertes Kochen verstand, das dortige Sortiment umhaute, ist kaum anzunehmen. Nun glauben wir ihn gut aufgehoben, in den Glücklichen Jagdgründen. Wer auch immer nun sein Herr und Hirte sein mag; ihm wird nichts mangeln.